Heute, mehr als 60 Jahre später, veröffentlicht der Internationale Rat der Juden und Christen einen neuen Aufruf – diesmal sowohl an die christlichen als auch an die jüdischen Gemeinden in der ganzen Welt. Er erinnert an das Jubiläum der Seelisberger Versammlung, die zugleich der Ausgangspunkt des Internationale Rats der Juden und Christen war. Der heutige Aufruf spiegelt die Notwendigkeit wider, die Zehn Thesen von Seelisberg in Übereinstimmung mit den Fortschritten des interreligiösen Dialogs seit jenem bahnbrechenden Dokument des Jahres 1947 zu verfeinern.
Dieser neue Aufruf enthält – als Ziele präsentierte - 12 Punkte, die sich an Christen und Juden, an christliche und jüdische Gemeinden gemeinsam richten. Nach der Aufführung der 12 Punkte und mehrerer konkreter Aufgaben, die mit jedem einzelnen davon verbunden sind, führt das Dokument die Geschichte der Beziehungen zwischen Christen und Juden vor Augen, die den kontextuellen Rahmen und den Anstoß für unsere Initiative liefert.
Wir, Mitglieder des Internationalen Rats der Juden und Christen, sprechen in diesem neuen Aufruf gemeinsam als aktive Mitglieder unserer jeweiligen Traditionen, die auf eine jahrhundertelangen Geschichte von Entfremdung, Feindseligkeit und Konflikt zurückblicken, die unterbrochen ist durch Fälle von Verfolgung und Gewalt gegen Juden im christlich dominierten Europa, aber auch durch Augenblicke der Zuvorkommenheit und wechselseitigen Anerkennung, von denen wir uns inspirieren lassen können.
Angespornt durch die Seelisberger Initiative, haben wir darauf hingearbeitet, das Erbe von Vorurteil, Hass und wechselseitigem Misstrauen zu überwinden. Infolge einer ernsthaften Verpflichtung zum Dialog, zur selbstkritischen Befragung unserer Texte und Traditionen sowie zu gemeinsamem Studium und Handeln für mehr Gerechtigkeit verstehen wir einander besser, akzeptieren einander mitsamt all unseren Unterschieden und bejahen unser gemeinsames Menschsein. Wir begreifen die jüdisch-christlichen Beziehungen nicht als “Problem“, das es zu “lösen“ gilt, sondern vielmehr als fortdauernden Prozess des Lernens und Verfeinerns. Am wichtigsten ist vielleicht, dass wir zu Freundschaft und Vertrauen gefunden haben. Wir haben gemeinsam Licht gesucht und gefunden.
Die Reise war weder einfach noch leicht. Wir haben viele Hindernisse und Rückschläge erlebt, auch – einige recht ernsthafte – Konflikte mit Blick auf theologische oder historische Entwicklungen durchgestanden. Doch unsere Entschlossenheit, den Dialog trotz aller Schwierigkeiten fortzusetzen, ehrlich miteinander zu reden und vom guten Willen unseres Partners auszugehen, hat uns dabei geholfen, die Richtung beizubehalten. Wir glauben deshalb, dass die Geschichte, die Herausforderungen und Errungenschaften unseres Dialogs für all jene relevant sind, die mit Konflikten zwischen unterschiedlichen Gruppen und Religionen zu tun haben.
In diesem Geiste veröffentlichen wir diesen Aufruf an christliche und jüdische Gemeinden in der ganzen Welt.
Zeit zur Neu-Verpflichtung: Die zwölf Thesen von Berlin
Berliner Thesen
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